Wie können die sozial-ökologische Transformation und der Zusammenhalt in Krisenzeiten gelingen?

Die Transformation zu einer wünschenswerten und gerechten Zukunft kann gelenkt werden – durch eine aktive Mitgestaltung, also ‹by design› statt ‹by desaster›.

Die vergangenen Jahre waren geprägt durch eine Vielzahl von Krisen, mit denen die Menschheit gleichzeitig konfrontiert ist. Die Klimakrise ist dabei nur eine von vielen – hinzu kommen etwa die Pandemie, der Verlust der Biodiversität oder zuletzt die geopolitische Energiekrise infolge des brutalen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine. Diese Krisen bedingen und beeinflussen sich nicht nur gegenseitig, sondern rufen zusätzliche Konflikte im Zuge ihrer Bewältigung hervor; so ist zudem von einer Kommunikations- und Verantwortungskrise oder auch Demokratie- und Gerechtigkeitskrise die Rede. 2021 wurde der Begriff der «globalen Polykrise» geprägt mit Blick auf ein neues Verständnis dafür, wie all diese Konflikte miteinander verwoben sind.

Die Krisen sind Symptome des immer selben Problems: unsere nicht nachhaltige, auf unendliches Wachstum ausgerichtete Lebensweise auf einem endlichen Planeten. Im Zen­trum steht die sozial-ökologische Krise. Denn derzeit gelingt es keinem Land, die Grundbedürfnisse seiner Bewohner:innen – geschweige denn zukünftiger Generationen – auf einem nachhaltigen Niveau der Ressourcennutzung zu sichern, das auf alle Menschen weltweit ausgeweitet werden kann. Gleichzeitig wächst die soziale Ungleichheit, nehmen die globalen Emissionen sowie die Ressourcen- und Energienutzung zu. Daraus folgt: Wir laufen nicht nur Gefahr, die Klimaziele zu verfehlen, auch die Lebensgrundlage heutiger und zukünftiger Generationen ist bedroht durch die Überschreitung weiterer ökologischer Grenzen und irreversibler Kipppunkte.

Eine nicht nachhaltige Lebensweise kann per definitionem nicht fortbestehen. Veränderung und Transformation sind daher so unvermeidbar wie dringend geboten. Sie erfolgen «by design» oder «by desaster», sprich durch aktives Handeln oder ein Nichtstun und «Weiter so». Damit einhergehende kulturelle, sozio-­ökologische oder technische Veränderungen werden unter dem Schlagwort der sozial-ökologischen Transformation zusammengefasst. Die Transformation gilt als Antwort auf die doppelte Problematik der eben beschriebenen «twin crisis of unjustice and biosphere». Dieses Transformationsverständnis hat mindestens drei Implikationen:

Erstens zeigt sich, dass die sozial-ökologische Transformation Hand in Hand gehen sollte mit einer sogenannten «Just Transition», verstanden als tiefgreifender Wandel hin zu einer gerechteren Zukunft. Hierbei zeigt sich die ethische Dimension der aktuellen Krise: Die (Wieder-)Herstellung von inter- und intragenerationeller Gerechtigkeit sowie interregionaler Umwelt-, Klima- und Energiegerechtigkeit ist zwingend erforderlich.

Zweitens wird anerkannt, dass die Klimakrise nur eine von vielen ökologischen und sozialen Krisen ist, die mit der Überschreitung planetarer Grenzen einhergeht, und dass ökologische und soziale Probleme eng miteinander verwoben sind. Einerseits ist die Einhaltung der ökologischen Grenzen notwendig, um die Grundversorgung mit Wasser, Energie oder Bildung sozial gerecht zu sichern und ein Leben in Würde zu ermöglichen. Andererseits werden soziale Konflikte hervorgerufen, die die Bewältigung der ökologischen Krisen beeinflussen und erschweren.

Drittens wird deutlich, dass der Krisen- und Veränderungsmodus, ausgelöst durch die Polykrisen, nicht nach einer bestimmten Zeit vorbei ist, wie das bisherige Verständnis von Krise impliziert. Es handelt sich um eine neue Normalität der Krisen, die besteht, solange eine gerechte und sichere Zukunft nicht gewährleistet ist. Die englische Unterscheidung zwischen transformation – verstanden als Prozess des fundamentalen Wandels – und transition – Übergang von einem in einen anderen Zustand – macht deutlich: Die Transformation ist ergebnisoffen und kann in eine wünschenswerte Zukunft führen. Das stimmt optimistisch.

Folglich zielt die sozial-ökologische Transformation im Kontext multipler Krisen darauf ab, einen «sicheren und gerechten Raum für die Menschheit» zu schaffen, in dem ein soziales Minimum sichergestellt und ein ökologisches Maximum nicht überschritten wird. Neben aller Dringlichkeit tut sich hier eine große Chance auf: Die Transformation zu einer wünschenswerten und gerechten Zukunft kann gelenkt werden – durch eine aktive Mitgestaltung, also «by design» statt «by desaster».

Die Ziel- und Grenzwerte für eine solche Zukunft sind längst in Abkommen und Vereinbarungen festgehalten, wie den Sus­tainable Development Goals oder aber in dem Pariser Klimaabkommen. Letzterem haben 197 Staaten weltweit zugestimmt, aus ihm muss das verbleibende globale Emissionsbudget abgeleitet werden. Klar ist auch, dass sich die Art und Weise, wie wir produzieren, konsumieren und transportieren, wandeln muss. Das betrifft nicht nur unser Energie-, sondern auch unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Wir haben kein Erkenntnisproblem. Es hapert an der Umsetzung und den Ambitionen, was die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2021 zeigt und eine Nachbesserung des Klimaschutzgesetzes zur Folge hatte.

Gerade in Zeiten von akuten Krisen, wie wir sie während der Covid-19-Pandemie hatten oder wie wir sie während des aktuellen brutalen Angriffskriegs auf die Ukraine immer noch erleben, darf die Umsetzung der sozial-ökologischen Transformation und klimapolitischen Zielen nicht einer kurzfristigen Krisenbewältigung weichen. Eine akute Krise kann jedoch auch als Katalysator für positive Veränderungen und Beschleunigung der sozial-ökologischen Transformation dienen. Der Zusammenhalt sowie eine Politik, die zusammenhält, sind dabei entscheidend.

1. Eine Politik, die alle Fäden in Krisenzeiten zusammenhält

Krisen können dann zum Katalysator für Transformation werden, wenn es gelingt, kurzfristige Maßnahmen so zu gestalten, dass sie im Einklang mit langfristigen sozial-­ökologischen Zielen stehen. Es ist entscheidend, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Krisen zusammenhängen und nicht getrennt von der übergeordneten, sozial-ökologischen Krise betrachtet werden können. Dabei wird deutlich, dass im Kontext der sozial-ökologischen Transformation nur emissionsarme, nachhaltige Technologien, Energie und Innovation zukunftsfähig und ökonomisch wettbewerbsfähig sind. Die Covid-­19-Pandemie wie auch die aktuelle geopolitische Energiekrise verdeutlichen dies.

Das primäre Ziel während der Covid-19-­Pandemie war es, Menschenleben zu retten, wodurch die Wirtschaft teilweise zum Erliegen kam. Die Herausforderung lag folglich darin, die geschwächte Wirtschaft nicht nur wieder anzukurbeln, sondern krisenfest und zukunftsfähig zu machen. Unternehmen und Industrien, die die Hilfen des Konjunkturpakets für ein Umsteuern statt für ein fossiles «Weiter so» genutzt und in energieeffiziente, erneuerbare Technologien und Innovationen investiert haben, stehen in der Energiekrise besser da. Denn aktuell sind gerade die energieintensiven Industrien durch die steigenden Preise der fossilen Energien stark belastet. Energiesicherheit und Entlastung der Haushalte und Wirtschaft stehen zu Recht im Vordergrund der Politik. Damit Industrie und Wirtschaft langfristig von fossiler Energie unabhängig werden und von der preissenkenden Wirkung der erneuerbaren Energien profitieren können, muss die Energiewende beschleunigt werden.

Die Politik sollte Anreize für Investitionen ins Energiesparen und in transformationsdienliche Innovationen setzen. Unter Berücksichtigung der Klimaschutzziele und des verbleibenden Emissionsbudgets wird deutlich: Eine Verlängerung der Atom- und Kohleenergienutzung sowie überdimensionierte Flüssiggas-Infrastruktur können langfristig weder helfen, fossile Abhängigkeiten zu reduzieren, noch die Wirtschaft zukunftssicher und krisenfest aufzustellen. Eine gute Energiepolitik ist daher auch eine gute Wirtschafts- und Industriepolitik und unterstützt bei der Krisenbewältigung und der sozial-ökologischen Transformation.

2. Eine Politik, die die Gesellschaft zusammenhält

Da die sozial-ökologische Transformation die Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes betrifft und soziale Auswirkungen hat, kann sie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden. Solidarität und eine Politik, die die Gesellschaft zusammenhält, sind zentral für das Gelingen der Transformation, eine akute Krisenbewältigung und funktionsfähige Politik. Zusammenhalt trägt in Krisen- und Transformationszeiten dazu bei, dass Menschen miteinander statt gegeneinander an Lösungen und Visionen für eine wünschenswerte Zukunft arbeiten.

Die sozial-ökologische Krise, insbesondere die Klimakrise, geht mit starker Ungleichheit und Ungerechtigkeit einher. Die Ungerechtigkeit besteht darin, dass Länder und Bevölkerungsgruppen, die am wenigstens zur Krise beigetragen haben, am stärksten von ihren Auswirkungen betroffen sind und gleichzeitig die wenigsten Mittel haben, sie zu bewältigen. Hinzu kommt die soziale Ungleichheit, die laut des jüngsten UNDESA World Social Reports weltweit um 70 Prozent im Vergleich zu der Zeit vor der Covid-­19-Pandemie gestiegen ist. Dieser Trend ist auch in Deutschland zu beobachten und wird durch die Covid-­­19-Pandemie und Energiekrise weiter verstärkt. Haushalte mussten wegen Kurzarbeit auf Einkommen verzichten und leiden nun unter steigenden Energiepreisen und der Inflation, die durch einen geringeren Lohnanstieg nicht ausreichend kompensiert wird.

Folglich werden viele Bürger:innen auch in diesem Jahr mit weniger Einkommen, Kaufkraft und Wohlstand auskommen müssen. Menschen mit geringem Einkommen, die ohnehin sozial benachteiligt sind, sind stärker von den Folgen der Covid-19- und Energiekrise betroffen, da sie einen großen Anteil ihrer Einkommen für Energie und Lebensmittel ausgeben müssen. Zudem wohnen sie meistens in nicht gut isolierten Wohnungen, was mit einem höheren Energiebedarf einhergeht. In solchen Krisenzeiten kann Zusammenhalt helfen, negative Auswirkungen abzufedern. Nachbarschaftshilfe und Spenden sind Beispiele gelebter Solidarität und gegenseitiger Unterstützung in Krisenzeiten.

Fehlender Zusammenhalt und zunehmende soziale Ungleichheit können zu gesellschaftlicher Polarisierung und sinkender Akzeptanz für politische Maßnahmen führen und die für die Krisenbewältigung und Transformation benötigten politischen Entscheidungsprozesse erschweren. Krisenpolitik sollte daher nicht nur gute Energie-, Klima-, Industrie- und Wirtschaftspolitik, sondern auch gute Sozialpolitik sein und Teilhabe an der Gestaltung der sozial-­ökologischen Transformation fördern.


Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg. Sie wurde 2016 in den Sachverständigenrat für Umweltfragen berufen und ist im Präsidium der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome.

Franziska Hoffart ist Postdoc-Wissenschaftlerin am Centrum für Umweltmanagement, Ressourcen und Energie (CURE) an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Ruhr- Universität Bochum und wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Sachverständigenrat für Umweltfragen.

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