Die Debatte um Migration nimmt gegenwärtig viel Raum in der öffentlichen Debatte ein. Dabei lässt sich insbesondere anhand der Diskussion um Seenotrettung und Menschenlagern in Nordafrika nach Naika Foroutan eine klare Verschiebung von einem moralischen Grundkonsens hin zu einer Entwertung von Menschenleben erkennen. Dies sei ein Ergebnis der strategischen Entmoralisierung der Gesellschaften durch die extreme Rechte. Um dem Rückfall des Migrationsdiskurses mit rassistischen Bildern etwas entgegenzusetzen und eine andere Zukunftsvision als die der rechten Kräfte aufzustellen, plädiert Naika Foroutan für ganz konkrete Handlungsschritte, die in der Veranstaltung diskutiert wurden.
1 Stellt klar, dass Pluralität die Grundlage des Grundgesetzes ist!
Wir leben in einer pluralen Demokratie. Es ist unabdingbar, dass wir uns dessen bewusst werden und diese Tatsache argumentativ anwenden. Kaum ein Argument ist überzeugender und entlarvender, als der Verweis auf den im Grundgesetz verankerten Pluralismus dieser gesellschaftlichen Ordnung. Wer vorgibt für dieses Land einzustehen, kann nicht gegen Pluralismus sein. Wer gegen Pluralismus ist, steht außerhalb der freiheitlichen Verfasstheit dieser Gesellschaft. Integration bedeutet nicht, gegen Pluralismus zu sein.
2 Macht euch bewusst und macht deutlich, was Integration wirklich bedeutet!
Viel zu lange haben sich die Debatten um Integration auf Migrant*innen bezogen. Integration bedeutet auf struktureller, kultureller, sozialer und emotionaler Ebene, Teil dieser Gesellschaft zu sein. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Menschen die zum Beispiel arbeitslos sind, in keine Nachbarschaften eingebunden sind und sich nicht als Teil dieser Gesellschaft fühlen, nicht integriert sind. Das sind aber nicht ausschließlich Migrant*innen. Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Nicht-Integration erfolgt nicht aus den Defiziten einzelner Gruppen, sondern aus den Defiziten einer Gesellschaft als Ganzes. Erst wenn es gelingt, die Migrationsfrage von der Integrationsfrage zu lösen, können wir endlich zu den wirklich wichtigen Aufgaben übergehen.
3 Bildet Allianzen: Sucht Gemeinsamkeiten, keine Unterschiede!
Die rechten Akteure sind laut und die verbindenden Einstellungen mindestens genauso simpel wie gefährlich. Das Hauptproblem des gesellschaftlich linken/offenen/migrationsfreundliche Spektrums ist, dass es zersplittert und in sich gespalten ist, obwohl es in der Summe einen viel größeren Teil der Gesellschaft ausmacht. Wir müssen daran arbeiten, den kleinsten gemeinsamen Nenner unter den Akteur*innen zu finden und über trennende Meinungsunterschiede hinwegzusehen. Missstände können nicht überwunden werden, wenn einzelne Gruppen für sich kämpfen. Schon gar nicht, wenn nur diejenigen kämpfen, die von diesen Missständen betroffen sind.
4 Erobert die Hegemonie im Diskurs zurück: Die Mehrheit ist für Solidarität, das muss stärker in den Fokus gelangen!
Je mehr mediale Aufmerksamkeit und je mehr Raum wir rechten Bewegungen geben, desto größer erscheinen sie uns. Das ist nichts Neues. Trotzdem geschieht es ununterbrochen. Wir wissen, dass die Mehrheit dieser Gesellschaft für Pluralität und Vielfalt ist. Trotzdem ist sie nicht annähernd so sichtbar wie die anti-migrantischen Stimmen aus der rechten Ecke. Wir müssen dafür kämpfen, dass Solidaritätsbewegungen und Migrationsbefürworter*innen gehört werden. Nur so gelingt es uns, den öffentlichen Raum zurück zu erobern und die Diffamierung der Sprache und der Praxis zu stoppen.
5 Dekonstruiert falsche Wahrnehmungen: scheut weder den Konflikt noch die Mühen der Ebene!
Die pessimistische und beinahe dystopische Stimmung innerhalb dieser Gesellschaft rührt unter anderem daher, dass die Identitäts- und Zukunftsfrage an die Zahl der Migrant*innen oder sogar Muslim*innen gekoppelt wird. Dabei handelt es sich um einen Trugschluss, auf dem ein gefährliches Metanarrativ gebildet wird. Wir müssen uns die Mühe machen, diese Fehlinformationen zu dekonstruieren, den Konflikt nicht zu scheuen und die Normalisierung von postmigrantischen Identitäten und Hybridität in dieser Welt in den Vordergrund zu rücken.
6 Schafft popkulturelle Zugänge: Zugehörigkeit und Deutschsein müssen herausgefordert und neue Narrative gesetzt werden!
Die Art und Weise, wie wir Debatten um die Migrationsgesellschaft führen und die Ebene auf der wir für eine Migrationsgesellschaft kämpfen, sind oft moralisierend, akademisch und schlichtweg schwer verständlich. Wir benötigen wieder mehr Formate, die mit popkulturellen Mitteln und Humor in der Lage sind, Irritation zu erzeugen und die Absurdität konservativer und rechtspopulistischer Schließungsmechanismen zu entlarven.
Livestream zur Veranstaltung:
#waszutunist - für eine gelingende Migrationsgesellschaft - BoellSachsen
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Naika Foroutan ist Professorin für "Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik" an der HU Berlin und Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung. Zu ihren Schwerpunkten zählen u.a. die Themen Migration und Integration, Islam- und Muslimbilder in Deutschland sowie gesellschaftliche Transformation von Einwanderungsländern. Seit 2011 ist sie zudem Leiterin der Forschungsgruppe Junge Islambezogene Themen in Deutschland (JUNITED) im Rahmen des Projekts Junge Islam Konferenz (JIK). Für ihre Forschung und ihr Engagement erhielt sie mehrere Preise, wie dem Berliner Integrationspreis nach ihrem Eingreifen in die bundesweit kontrovers geführte "Sarrazindebatte".