Kommunale Energie: Kluge Beschlüsse und verpasste Chancen

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Die drei sächsischen Großstädte gehen seit 1990 in der Energieversorgung unterschiedliche Wege. Dresden hat sich von der Braunkohle weitgehend gelöst, Leipzig wenig, Chemnitz nicht. 

In den meisten Städten der DDR war Braunkohle die Nummer eins für die Strom- und Wärmeerzeugung. In den neuen Wohngebieten verfügten die Großstädte über stark ausgebaute Fernwärmesysteme zur Versorgung mit Heizwärme und Warmwasser. Erzeuger und Verbraucher waren Nachbarn: Oft standen die Kraftwerke inmitten von Siedlungen, so auch in Sachsen – mit allen Belastungen, die diese Anlagen für Mensch und Natur mit sich brachten. 

Nach der Wiedervereinigung konnte keines der Kraftwerke die wesentlich strengeren Umweltschutzstandards der Bundesrepublik erfüllen. Es galt eine Übergangsfrist bis 1995. In dieser Zeit mussten sich die Kommunen und ihre Stadtwerke entscheiden, ob und wie sie es mit der Braunkohle halten wollten. Sie hatten im Prinzip drei Optionen: Weiterbetrieb mit Nachrüstung, ersatzweiser Neubau eines Braunkohlekraftwerkes an einem anderen Standort oder Neubau eines modernen zentralen Erdgaskraftwerkes am gleichen Standort und weiterer kleiner Gaskraftwerke im Stadtgebiet verteilt. Die sächsischen Großstädte gingen nun sehr unterschiedliche Wege. 

Die Lage in Dresden war bis 1990 miserabel. Die zwei Kohlekraftwerke der sächsischen Landeshauptstadt waren mitverantwortlich für die starke Luftverschmutzung im Dresdner Elbtal – insbesondere im Winter. 18.000 Tonnen Schwefeldioxid, 2.000 Tonnen Stickstoffoxide und rund 1.000 Tonnen Staub wurden jährlich aus den Schornsteinen geblasen. Dazu kamen noch 1,3 Millionen Tonnen Kohlendioxid, von dessen Klimaschädlichkeit zu dieser Zeit noch wenig die Rede war. Aber insbesondere das Kraftwerk Mitte von 1927 mit seinem Schornstein von nur 65 Metern Höhe am Rande der Altstadt belastete Anwohner und Anwohnerinnen sowie historische Gebäude wie Zwinger, Schloss und Semperoper erheblich. Bei dem veralteten 32-Megawatt-Kraftwerk war an Nachrüstung nicht zu denken. 1990 wurde es sofort in Reserve versetzt und 1992 für immer stillgelegt. Heute ist das Gelände ein attraktiver Kulturstandort.

Das 1966 in Betrieb gegangene 100-Megawatt-Kraftwerk Nossener Brücke hätte mit Filtertechnik nachgerüstet werden können. Am Ende entschieden sich Kommune und Stadtwerk für die sauberste Variante. Die Fernwärme- und Stromversorgung sollte komplett auf Erdgas umgestellt werden. Damit war der Ausstieg aus der Braunkohle in Dresden beschlossene Sache.

Zum neuen Herz der Energieversorgung wurde ein Gas-und-Dampf-Kraftwerk mit der zum damaligen Zeitpunkt besten verfügbaren Technik zur Kraft-Wärme-Kopplung. Es erreicht einen Gesamtwirkungsgrad von 89 Prozent, hat eine elektrische Leistung von 270 Megawatt und eine Wärmeleistung von 480 Megawatt. Ergänzt wird es durch kleinere Gaskraftwerke in städtischen Randlagen, einige mit Wärmespeichern von insgesamt 468 Megawattstunden Kapazität. Dazu kommt seit 2015 ein Zwei-Megawatt-Elektrospeicher in Dresden-Reick. Durch die flexible Fahrweise der Gaskraftwerke kann das ganze Netz auch bei niedrigen Börsenstrompreisen und schwankenden Rohstoffkosten wirtschaftlich betrieben werden. Durch den Wechsel von der Kohle zum Erdgas sank die Umweltverschmutzung – allein um 450.000 Tonnen Kohlendioxid und 17.500 Tonnen Schwefeldioxid jährlich. Auch die Lärm- und Staubbelastung in der Nachbarschaft nahm deutlich ab.

In Chemnitz entschieden sich Stadt und Energieversorger für den kurzfristig gesehen billigeren Weg. Sie setzten weiter auf Braunkohle. Mit ihrem 300-Meter-Schornstein, dem höchsten Bauwerk in Sachsen und seit 2013 bunt angestrichen, prägt die Energieerzeugung auch heute das Stadtbild. Das alte Heizkraftwerk Nord I von 1961 mit einer Leistung von 75 Megawatt ging 1997 vom Netz. Das schrittweise 1986 bis 1990 in Betrieb gegangene Heizkraftwerk Nord II läuft hingegen weiter. Zur Strom- und Wärmeerzeugung stehen drei Blöcke mit insgesamt 234 Megawatt elektrischer und 475 Megawatt Wärmeleistung zur Verfügung. Die 

Blöcke B und C werden mit Rohbraunkohle befeuert. Der Block A kann wahlweise Erdgas oder leichtes Heizöl nutzen, steht jedoch seit einer Havarie 2016 still.

Eine 1995 installierte Rauchgasentschwefelungsanlage senkte wenigstens die Schwefeldioxidemissionen deutlich. Noch 2009 erhielt der Block C zur Leistungssteigerung eine neue Turbine. Danach schloss der Energieversorger mit der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (MIBRAG) einen Kohleliefervertrag bis 2022 ab. Erst für die Zeit danach besteht eine realistische Möglichkeit, auch in Chemnitz aus der Kohle auszusteigen. Gründe gibt es genug. Die MIBRAG liefert aus Schleenhain Braunkohle mit einem besonders hohen Gehalt an Quecksilber. 2014 pustete das Heizkraftwerk Nord II rund 58 Kilogramm des Giftes in die Luft. Die ab 2019 geltenden Grenzwerte wird Nord II nicht einhalten, sondern eine Übergangsregelung bis 2022/23 in Anspruch nehmen. Zu den Quecksilberemissionen kamen 2014 noch 876 Tonnen Schwefeldioxide und 683 Tonnen Stickoxide, und mit 979.000 Tonnen Kohlendioxid war das Heizkraftwerk für drei

Viertel der Emissionen des Chemnitzer Energiesektors verantwortlich.

Die Stadt Leipzig liegt zentral im Mitteldeutschen Revier und ist auf Kohleflözen gebaut. Hier wurden vor der friedlichen Revolution die drei Heizkraftwerke Kulkwitz, Nord und Süd sowie das Heizwerk Max Reimann mit Braunkohle betrieben. Sie gingen in den 1990er-Jahren nach und nach vom Netz. Wie in Dresden wurde ein effizientes Gas-und-Dampf-Kraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung errichtet. Die elektrischen Leistung liegt bei 174 Megawatt, die Wärmeleistung bei 200 Megawatt. Auch hier ergänzen kleine Heizwerke mit Erdgas als Brennstoff die 

Lieferungen. Anders als in Dresden wurde in Leipzig die Chance auf einen vollständigen Ausstieg aus der Braunkohle vertan.

Stattdessen erfolgte 1996 ein Fernwärmeanschluss vom alten Braunkohlekraftwerk Lippendorf. Das Heißwasser gelangt über eine 15 Kilometer lange unterirdische Rohrleitung bis zu einer Übergabestation im Süden Leipzigs, seit 2000 vom Kraftwerksneubau in Lippendorf. Er deckt mit jährlich etwa 900 Gigawattstunden mehr als die Hälfte des Leipziger Fernwärmebedarfs, der bei 1.500 bis 1.600 Gigawattstunden liegt. Dafür werden aber nur maximal 14 Prozent, etwa 200 bis 330 Megawatt der thermischen Leistung eines Blocks gebraucht. So weit lässt dieser sich jedoch nicht herunterregeln und muss somit immer auch ein Mehrfaches an Strom und Abwärme produzieren, selbst wenn die Energie nicht gebraucht wird. So produziert Lippendorf viel schmutzigen Strom, selbst wenn niemand diese Energie braucht. Saubere Windräder und Solaranlagen werden stattdessen abgeschaltet. Die Stadtwerke haben den Kohleliefervertrag bis zum Jahr 2023 verlängert. Erst dann besteht wieder die Möglichkeit, endgültig aus der Kohle auszusteigen. 

Die Verbrennung von Braunkohle in den kommunalen Stadtwerken hat negative Auswirkungen auf den Energiemix der Kunden. Obwohl in allen drei Städten große Mengen des verkauften Stromes von außen bezogen werden, treten die Unterschiede deutlich hervor. Die Kundschaft in Chemnitz hat mit knapp 40 Prozent Kohleanteil den schmutzigsten Strom. Leipziger bekommen ein reichliches Viertel und Dresdner nur ein Fünftel Kohlestrom ins Haus. 

Entsprechend hoch sind im Vergleich die Emissionen von Kohlendioxid. Wer in Chemnitz wohnt, pustet mit jeder verbrauchten Kilowattstunde rund 450 Gramm des klimaschädlichen Gases in die Atmosphäre. In Dresden und Leipzig sind es immer noch mehr als 300 Gramm pro Kilowattstunde. In allen drei Stadtwerken wird der größte Anteil des Stromes aus erneuerbaren Energien geliefert. Von den 40 bis 45 Prozent werden aber nur sehr geringe Anteile – weniger als fünf Prozent – im Stadtgebiet erzeugt.

Im Gegensatz zum Strom, bei dem jeder Haushalt zu Ökostromanbietern wechseln kann, ist Fernwärme ein Monopolmarkt. In Chemnitz und Leipzig sind die Kundinnen und Kunden mit Netzanschluss an Wärme aus Kohle gekettet. Bei Neubau und Komplettsanierung sind hier zusätzliche, kostenintensive Effizienzmaßnahmen nötig, um die gesetzlichen Anforderungen der Energieeinsparverordnung (EnEV) zu erreichen. Denn der Energieträger Braunkohle beeinflusst den Primärenergiefaktor, einen Schlüsselwert bei der Berechnung der Gebäudeeffizienz, negativ. 

Die Stadtwerke Dresden und Leipzig können ihrer Kundschaft Primärenergiefaktoren von 0,23 beziehungsweise 0,31 anbieten. In Chemnitz ist er mit 0,7 mehr als doppelt so hoch. Aber auch in der Kohlendioxidbilanz von Leipziger Fernwärmekunden und -kundinnen wird das Kraftwerk Lippendorf sichtbar. Jede verbrauchte Kilowattstunde Wärme führt zu Emissionen von 154 Gramm – in Dresden ist es nur ein Drittel.

 

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