Der endgültige Abschied von der Braunkohlewirtschaft ist unumgänglich. Die Folgen für den sächsischen Arbeitsmarkt sind nicht so weitreichend wie oft behauptet. Dennoch muss die Politik den Wandel steuern.
Seit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert förderte der maschinelle Kohleabbau in Sachsen den wirtschaftlichen Aufschwung der Region und trieb so die technische und gesellschaftliche Modernisierung voran. Zu Zeiten des nationalsozialistischen Regimes stand die Braunkohle im Dienst der Bestrebungen zur
Energieautarkie – aus der Ressource sollten kriegsrelevante Kraftstoffe entstehen, um Ölimporte zu ersetzen. In der DDR gelang der wirtschaftliche Aufbau mithilfe einer intensiven Förderung der Schwerindustrie – um den Preis hoher Luftverschmutzung und gesundheitlicher Langzeitschäden. Der Niedergang der sächsischen Kohlewirtschaft begann mit dem Ende der DDR. Der grundlegende Wandel der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen durch die deutsche Wiedervereinigung, aber auch die Ineffizienz der veralteten Anlagen und das Angebot neuer Energiequellen zeigten schonungslos die Rückständigkeit der bisherigen Wirtschaftsstrukturen.
Der große Strukturwandel, die Anpassung der Braunkohleindustrie an die neuen umwelt-, sozial- und wettbewerbspolitischen Standards, hat vor allem in den 1990er-Jahren stattgefunden. 1989 gab es in den beiden Revieren in Mitteldeutschland und der Lausitz noch 140.000 direkte Arbeitsplätze in der Braunkohleindustrie. Davon gingen innerhalb von zehn Jahren über 90 Prozent verloren. Programme von Bund und Ländern federten jedoch die rasche Schließung zahlreicher Tagebaue und Kraftwerke ab. Sozialpläne, großzügige Kurzarbeitsregelungen, Abfindungen, Weiterbildungsangebote und Frühverrentung ab 55 Jahren sicherten die Existenzgrundlage der ehemaligen Beschäftigten. Zusätzlich wurde die staatliche Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau- und Verwaltungsgesellschaft (LMBV) gegründet. Mit der Sanierung der stillgelegten Tagebaue waren zeitweise 20.000 Menschen beschäftigt.
Beim Strukturwandel der nächsten Jahre kann die Politik also auf einige erprobte Maßnahmen zurückgreifen. Problematisch ist zudem die über Jahre gewachsene Abhängigkeit der Kommunen von der Kohlewirtschaft. Die öffentlichen Kassen profitierten von zusätzlichen Steuereinnahmen. Die Förderungen in den Bereichen Rekultivierung, Umsiedlung, Kultur, Bildung und Sport haben den gesellschaftlichen Rückhalt der Konzernstrukturen gestärkt. Ob die Steuereinnahmen der Kommunen aus eigener Kraft die zuvor ausgeteilten Subventionen einmal übertreffen werden, ist allerdings fraglich. Ob Kultur- und Sportförderprogramme die gesellschaftlichen und ökologischen Einschnitte kompensieren können, ebenso.
Heute arbeiten in der Lausitz noch 8.300 und im Mitteldeutschen Revier 2.500 Menschen in Tagebauen und Kraftwerken. Auf den sächsischen Anteil entfallen insgesamt weniger als 3.000 Erwerbstätige. Gemessen an der Gesamtzahl der Arbeitsplätze in den unmittelbar betroffenen Landkreisen ist dies weniger als ein Hundertstel. Zudem werden 70 Prozent der Beschäftigten in der Kohle innerhalb der nächsten 15 bis 20 Jahre in Rente gehen, denn sie sind älter als 45 Jahre.
Die Chance auf einen sozialverträglichen Ausstieg ist also hoch, denn nur für die restlichen 3.000 Beschäftigten in den beiden Revieren muss eine berufliche Perspektive
jenseits der Kohle entwickelt werden. Diese Aufgabe ist lösbar – in der Lausitz ist der Fachkräftemangel bereits spürbar. Vor allem qualitativ hochwertige Fortbildungen und europaweite Vermittlungen haben sich bewährt, besonders wenn sie frühzeitig angeboten werden und nicht erst als Reaktion auf eine Krise am Arbeitsmarkt.
Schwieriger ist die wirtschaftliche Neuausrichtung der bergbaugestützten Regionen. Die regionalen gesellschaftlichen Akteure müssen beteiligt werden, weil von oben angeordnete Entwicklungsprogramme in einer global vernetzten Marktwirtschaft meist zum Scheitern verurteilt sind. Universalmethoden für erfolgreichen Strukturwandel gibt es nicht. Doch aus den Fehlern des seit 60 Jahren subventionierten Umbaus im Ruhrgebiet lässt sich lernen. Dort lebten die überkommenden Strukturen noch lange weiter und blockierten den Wandel. Große Teile der Region leiden heute noch unter den sozialen und wirtschaftlichen Folgen.
Als mittlerweile gelungenes Beispiel gilt Mitteldeutschland, die Region um Leipzig, Halle und Jena. Dort entwickelten sich die bereits bestehende Industrien nach einer Schrumpfungsphase zu Hochtechnologiekernen weiter. Das Mitteldeutsche Revier hat damit und mit den aufstrebenden Großstädten Leipzig und Halle eine einfachere Ausgangssituation als die Lausitz zu bieten.
Die oftmals beschworene stoffliche Nutzung – um etwa aus Braunkohle Ausgangsstoffe für die Industrie oder alternative Kraftstoffe herzustellen – bietet allerdings nur geringe Ausbaupotenziale. Bundesweit bestehen heute kaum 1.000 Arbeitsplätze. Denn im Verhältnis zur Kohlenstoffnutzung aus Öl sind die Verfahren zu teuer und nur bei sehr hohen Ölpreisen konkurrenzfähig. Selbst dann wären die benötigten Mengen Kohle sehr viel geringer als heute.
Leitprinzip der Regionalförderung ist heutzutage die Clusterförderung, die von den vorhandenen Stärken und den Potenzialen ausgeht. Eine von der Energieregion Lausitz-Spreewald GmbH angestoßene Analyse hat die Kompetenzfelder Tourismus, Energiewirtschaft, Kunststoffe/Chemie, Metallindustrie und Ernährungswirtschaft identifiziert. Sie sollten mit den bereits vorhandenen Förderinstrumenten gezielt unterstützt werden. Die Hochschulen – in der Lausitz die BTU Cottbus-Senftenberg und die Hochschule Zittau/Görlitz, im mitteldeutschen Raum vor allem die Hochschulen in Leipzig, Halle und Merseburg – könnten ihre Forschungskapazitäten stärker in die Gestaltung des Strukturwandels einbringen. Das Ziel wäre, die Unternehmen der Region via Technologietransfer dabei zu unterstützen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.
Die durch den fortgesetzten Strukturwandel zu erwartenden negativen wirtschaftlichen Auswirkungen in den Braunkohleregionen gehen auch auf bundespolitische Entscheidungen zurück. Deshalb ist die Finanzierung des Strukturwandels eine gemeinsame Aufgabe der Länder und des Bundes. Vorlagen für ein ideenreiches Sonderförderprogramm und einen erfolgreich gestalteten Strukturwandel sind vorhanden. Dazu gehören der – einst vom Bund und vom Land Niedersachsen gemeinsam finanzierte – Emslandplan, um die einst rückständige Region entlang der niederländischen Grenze zu erschließen, aber auch die frühere Zonenrandförderung in Westdeutschland.