Christlicher Fundamenstalismus im sächsischen «Biblebelt» Ein Bericht bringt Bewegung

Interview mit Jennifer Stange

In Sachsen gibt es einen starken evangelikalen «Biblebelt», aus dessen Spektrum regelmäßig homophobe und islamophobe Positionen laut werden und dessen Protagonist_innen sich für repressive, patriarchale Gesellschaftsentwürfe stark machen. Wenn der Aktivismus fundamentalistischer Christ_innen die Basis einer emanzipatorischen Demokratie angreift, ist klarer Widerspruch gefordert. Die Journalistin Jennifer Stange erhielt daher von Weiterdenken den Rechercheauftrag, sich eingehender mit den evangelikalen Strömungen in Sachsen und deren gesellschaftspolitischer Einflussnahme auseinanderzusetzen. Ihr Bericht findet sich unter www.weiterdenken.de/de/2014/06/01/evangelikale-sachsen-ein-bericht
Hier haben wir sie  zu ihren Erfahrungen rund um die Recherchen befragt.

Du hast für Deinen Bericht im «Biblebelt» Sachsens recherchiert. Was sind Deine wichtigsten Schlüsse aus diesen Recherchen und Begegnungen?
Ich habe mich in meiner Recherche auf christlich fundamentalistische Positionen in evangelikalen und pietistischen Kreisen im Umfeld der Evangelischen Landeskirche in Sachsen konzentriert. Also auf diejenigen, die eine kompromisslose Glaubensauffassung vertreten und ihre Bibelauslegung als Unfehlbarkeit der Bibel verkaufen. Ein Glaube der sich massiv von einem aufgeklärten Glauben, wie zum Beispiel dem liberalen Protestantismus unterscheidet.
Na und? könnte man jetzt fragen und entgegnen: Das geht doch niemanden was an, schließlich darf ja jeder glauben, was er oder sie will. Das stimmt natürlich grundsätzlich, aber diejenigen die in ihrem Glauben religiöse Absolutheitsansprüche vertreten -  die also sagen, »Ich vertrete den richtigen und wahren Glauben” -  können dieses Freiheitsgebot eben selbst schlecht ertragen und das ist ein Problem, das sich erstens an innerkirchlichen Auseinandersetzungen zeigt: Christliche Fundamentalisten glauben Homosexualität ist Sünde - Punkt. Da soll es keinen Kompromiss geben, Homosexuelle sollen ihre sexuelle Präferenz nicht leben, sie sollen sich heilen lassen, sie sollen auf keinen Fall im Pfarrhaus wohnen, weil das die Glaubensauffassung angreift. Zweitens steht dieser vermeintlich wahre Glaube auch immer im Konflikt mit anderen Religionen,die als Irrglaube gelten - diese Auffassung arbeitet sich aktuell vor allem am Islam ab. Drittens und das ist eine der wichtigsten Ergebnisse meiner Recherche, richtet sich ein christlicher Fundamentalismus auch gegen so genannte modernistische Irrwege, gegen einen als Orientierungslosigkeit verstandenen Wertepluralismus sowie gegen die Vielfalt gesellschaftlicher Lebensentwürfe. Zwei Frauen oder zwei Männer könnten keine Kinder groß ziehen, weil die Bibel nur Adam und Eva kennt. Frauen und Männer sollen nicht zu gleichberechtigt sein, weil die traditionelle christliche Familie für ein klassisches Rollenverständnis steht und so weiter. Diese Auffassung bildet sich vor allem im Kampf gegen Gendermainstreaming ab. Und fünftens dieser Glauben ist ein sehr strenger Glaube, er verspricht Liebe, Halt und Gemeinschaft, er fordert aber auch sehr viel. «Gott ist kein Kuschelgott», hat ein sächsischer Prediger mal ganz treffend gesagt und ich habe einige Leute getroffen, die mit diesem Glauben nicht unbedingt glücklich waren. Junge Menschen, die sehr unter dem Druck standen, diesem strengen Gott gerecht zu werden, Angst hatten aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden oder schon rausgeflogen waren. Um es nochmal zusammen zu fassen, eine fundamentalistische Glaubensauffassung richtet sich gegen Dritte, gegen Andersgläubige, Nichtgläubige und eine liberale Gesellschaftsauffassung, die auf dem Pluralismus beruht. Und beunruhigend ist natürlich, dass sich in dieser Gegnerschaft auch Schnittmengen mit rechtem Gedankengut entdecken lassen.
Auf einer zweiten Ebene habe ich mir den Umgang der sächsischen Landeskirche mit diesen Positionen angeschaut und musste feststellen, dass sie gegenüber fundamentalistischen Hardlinern in den eigenen Reihen eine Appeasement-Politik verfolgt.  Sie toleriert es, dass von ihren Kanzeln eine Sichtweise gepredigt wird, die zwischen Himmel und Hölle keinen neutralen Raum lässt und jegliche Ambivalenz, die den Ereignissen der Welt gewöhnlich anhaftet, zugunsten eines «für Gott» oder «gegen Gott» tilgt und auch das geht wiederum auf Kosten Dritter: Menschen, die anders sind, andere Glaubensauffassungen vertreten oder auf Kosten von Minderheiten, die angegriffen werden.
Ein Fokus des Berichts ist die politische Einflussnahme evangelikaler Protagonist_innen. Auf welche Agenda und Bündnisse bist Du dabei gestoßen?
Diese Einflussnahme gibt es auf mehreren Ebenen und die ist auch nicht grundsätzlich verwerflich. Innerkirchlich ist es so, dass christliche Fundamentalisten die Landeskirche Kirche als Relaisstation zum Transport ihrer Glaubensvorstellung nutzt, um neue Gefolgsleute zu gewinnen und Positionen innerhalb der Kirche durchzusetzen. Das Evangelisationsteam und die Arbeitsgemeinschaft für Weltanschauungsfragen, kurz AG Welt, vertreten auf vielen Kampffeldern christlicher Fundamentalisten in Sachsen eine Avantgardeposition. Zum Teil finden sich diese Positionen aber auch innerhalb der Landeskirchlichen Gemeinschaft, eine traditionell pietistischen Strömung, die in Sachsen unter dem Dach der Landeskirche steht. Ihr Einfluss ist zumindest so groß, dass es ihnen gelang einen synodalen Beschluss zur Novellierung des Pfarrerdienstrechts, wonach dann auch lesbische und schwule Pfarrerinnen und Pfarrer im Pfarrhaus leben durften, zu kippen und damit einen demokratischen Prozess auszuhebeln - das lässt aufhorchen. Gemeinden, Einzelpersonen und die oben genannten Initiativen vereinen sich seither in der so genannten Bekenntnisinitiative. Der Name spielt ganz bewusst auf die  «Bekennenden Kirche» an, die sich während des Nationalsozialismus gegen deutsch-christliche Abwege innerhalb der Kirchenbehörden und Leitungsorganen stellte. Der  Bekenntnisinitiative geht es aber um andere so genannte Abweichungen, um Homosexualität, die richtige sexuelle Orientierung, Probleme mit der sexuellen Vielfalt und Gendermainstreaming, gegen Schwangerschaftsabbruch etc., um gesellschaftliche Themen, die aus konservativer bis fundamentalistischer Sicht auf eine bestimmte Art und Weise beantwortet werden sollen. Bundesweit orientiert sich diese Strömung weniger am Mainstream der EKD, sondern vielmehr an der Deutschen Evangelischen Allianz, die zu mehr politischem Engagement aufruft. Wohin die Reise geht, lässt sich an deren Wahlprüfsteinen ablesen, die den Gläubigen als Entscheidungshilfe dienen soll. Direkte Wahlempfehlung gibt es nicht, aber richtet man sich nach den hier als wichtig erachteten Punkten landet man am rechten Rand der CDU, also jenseits dessen wofür die Bundes-CDU derzeit steht, bei der AfD oder anderen christlichen Splitterparteien. Apropos CDU, die sächsische CDU steht ja für einen eher rechtskonservativen Kurs und deshalb ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass es hier scheinbar auch keine Berührungsängste mit christlich-fundamentalistischen Positionen gibt. Die «Initiative Linkstrend stoppen» wurde vom Fraktionsvorsitzenden Steffen Flath begrüßt. Thomas Schneider, CDU-Kreistagsabgeordneter und Prediger, steht ihr vor. Auf seiner Homepage fällt er vor allem mit latent und offen islamfeindlichen Positionen auf. Andere kirchlich aktive CDU-Mitglieder aus Sachsen konnten in der Vergangenheit schwule Politiker angreifen und so weiter. Die Gefahr besteht in einer religiös motivierte Politik, die nicht zwischen religiöser Gewissheit und staatsbürgerlicher Freiheit unterscheidet. Flath unterstützt jedes Jahr den  so genannten «Marsch für das Leben» - aus christlicher Überzeugung: Nicht der Mensch sondern Gott soll über Anfang und Ende des Lebens entscheiden und deshalb sollen Frauen nicht das Recht zu einem Schwangerschaftsabbruch haben, bzw. nicht straffrei bleiben, wenn sie sich dafür entscheiden. Flath sagte dort mal, die Gesellschaft werde «krank», wenn sich ihre Mitglieder nicht an die 10 Gebote halten. Das ist nichts anderes als eine Sakralisierung der Politik, die verkennt, dass wir nicht in einer Gesellschaft leben, die alle denselben Glauben vertreten und die vergisst, dass es auch moralische und ethische Maßstäbe gibt, die nicht denen christlicher Hardliner entsprechen.
Auf den Bericht gab es heftige Reaktionen. Wie erklärst Du Dir diese und wie gehst Du damit um? Was wünschst Du Dir für die zukünftige Debatte?
Dass auf Kritik mit Angriff reagiert wird, ist nicht neu, diese Erfahrung haben auch schon Andere vor mir gemacht, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben. Warum das so ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Was mich allerdings erstaunt hat, war die pauschale Abwehr der Kritik, die neben Landesbischof Bohl auch andere Mitglieder in Leitungspositionen geäußert haben. Sprach- und Denkverbot würde ich verordnen wollen, Meinungen disqualifizieren, diffamieren und so weiter. Diese Anwürfe sind zum Teil lächerlich, weil wem könnte ich denn sprechen und denken verbieten? Zum anderen ist diese Haltung auch ein bisschen erbärmlich, denn ich habe mich vor allem mit Positionen beschäftigt, die Schwule, Lesben, Muslime, Nicht- oder Andersgläubige angreifen und da frage ich mich, hätte man nicht wenigstens sagen können, dass man sich von homophoben und islamfeindlichen Positionen distanziert und damit klar und deutlich machen können, dass man Diskriminierung nicht duldet? Ist es für die sächsische Landeskirche nicht möglich zu sagen, wir achten auch andere Lebensentwürfe jenseits der traditionellen Kleinfamilie?
Das ging nicht, jedenfalls nicht in öffentlichen Verlautbarungen und das hat mich erstaunt. Einzelne Vertreter, auch aus Leitungspositionen und auch Theologen haben sich zwar gegenüber mir persönlich positiv geäußert, haben meine Recherchen bestätigt und sich quasi bei mir bedankt, dass der Bericht ein bisschen Leben in die innerkirchliche Debatte gebracht habe, aber auch das ist meines Erachtens nach kein ausreichendes Signal an diejenigen, die aus fundamentalistischen Kreisen immer wieder angegriffen werden. Positive Rückmeldungen gab es im Nachhinein auch von Einzelpersonen, die den Ausstieg aus christlich-fundamentalistischen Kreisen geschafft haben. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass diese Menschen, auf deren Kosten christliche Hardliner ihren Glauben leben, auch in der sächsischen Landeskirche zu Wort kommen und ernst genommen werden.